Entwurf, der noch ergänzt und verfeinert wird,
von Jürg Kramer (HU, Berlin) und Elke Warmuth (HU, Berlin)
1. Ausgangspunkt: Ziele des Mathematikunterrichts
Ausgangspunkt der Überlegungen sind die Aufgaben des Mathematikunterrichts. Mathematikunterricht zielt auf die verständnisorientierte Hinführung zum mathematischen Denken und nicht auf das Einüben fertiger Begriffsstrukturen und Lösungsverfahren. Schüler sollen Mathematik erfahren als den Versuch, logische Strukturen zu entdecken, als eine Sammlung von Ideen, als ein Werkzeug, um die Welt zu beschreiben und eine Weise, die Welt zu erfahren (vgl. [1]). Verständnisvolles Lernen von Mathematik kann daher keineswegs auf das Lernen von Stoff reduziert werden. Ein Lehrer, der diesen Lernprozess organisieren und begleiten soll, braucht folglich spezialisiertes Berufswissen sowohl in fachlicher als auch in didaktischer Hinsicht.
2. Professionelle Lehrerausbildung, Erfahrungstatsachen
Für ein erfolgreiches Lehren von Mathematik im oben genannten Sinne ist es unabdingbar, dass sich jeder Lehrer selbst ein Bild von Mathematik schafft, das über den an der Hochschule erfahrenen fachsystematisch aufgebauten Stoff hinausgeht. Er muss diesen Stoff für sich verknüpfen zu einem Netzwerk von Begriffen, Bedeutungen und Aussagen und die Gegenstände der Schulmathematik in dieses Netzwerk einordnen. Er sollte dazu auch etwas wissen über die Entstehungsgeschichte, Beweggründe und Hintergründe von Mathematik.
Mit einer solchen Sicht auf Mathematik wird der künftige Lehrer auch eine positive Einstellung und bessere Befähigung zum lebenslangen Lernen erwerben, das für ein Leben in diesem Beruf unabdingbar ist.
Es ist eine Tatsache, dass Lehrerstudenten im allgemeinen diese Aufgabe nicht von selbst und nicht allein bewältigen. Ein Ausdruck dieser Tatsache ist die immer wieder zu beobachtende Nichtakzeptanz von Inhalten der Mathematikausbildung bei den Lehrerstudenten. Sie beurteilen oft die Gegenstände ihrer Mathematikausbildung und die Gegenstände der Schulmathematik als Elemente getrennter Welten. Sie sind zu wenig bereit, sich über den Horizont der Schulmathematik hinaus für die Mathematik zu öffnen. Infolgedessen sind in Bezug auf fachwissenschaftliche Kenntnisse bei den Studierenden Reproduktion bis zur Prüfung und anschließendes Vergessen weitaus häufiger zu beobachten als wirkliches Aneignen. Man kann dies beklagen und sich wünschen, künftigen Lehrern müssten solche Positionen fremd sein. Uns scheint dies realitätsfern und wir schlagen anknüpfend an die Tradition von Kleins „Elementarmathematik vom höheren Standpunkt aus“ vor, Verbindungselemente von Hochschulmathematik und Schulmathematik als expliziten Gegenstand der Ausbildung für Mathematiklehrer im Rahmen geeigneter Lehrveranstaltungen auszuweisen.
3. Eine dritte Säule der Lehrerausbildung an der Schnittstelle von Fachmathematik und Fachdidaktik
Wir schlagen spezifische Lehrveranstaltungen vor, in denen der wissenschaftliche Hintergrund von ausgewählten Themen des Mathematikunterrichts entwickelt wird. Um die Lernfähigkeit der Studierenden zu fördern, ist in geeigneter Weise ihre Eigentätigkeit beim Einarbeiten in die fachlichen Hintergründe und dem Reflektieren darüber zu organisieren. Entsprechende Lehrveranstaltungen sollten möglichst bald nach Abschluss des Grundstudiums angeboten werden. Eine Möglichkeit einer solchen Veranstaltung ist eine Mischform von Vorlesung und Seminar. Eine andere Möglichkeit hierfür ist ein Aufsatz über einen Gegenstand der Schulmathematik, seine Stellung im Gebäude der Mathematik einschließlich seiner Geschichte und seiner Bezüge zur Welt außerhalb der Mathematik sowie die Erfahrungen des Studierenden bei der Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand. Als Themenbereiche eignen sich beispielsweise ausgewählte Inhalte aus der Linearen Algebra, Analysis oder der Stochastik.
Zahlreiche Meinungsäußerungen von Studierenden bestärken uns in der Meinung, dass solche Lehrveranstaltungen sinnvoll und notwendig sind. Sie wären ein Element in Richtung des von Studierenden immer wieder geforderten stärkeren Berufsbezugs der Lehrerausbildung.
Ein weiteres Element ist die engere Verbindung von fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Ausbildung. Eine praxisbezogene fachdidaktische Ausbildung kann wiederum positive Impulse für den Erwerb der fachmathematischen Grundlagen auslösen.
Literatur
[1] Beutelspacher: In Mathe war ich immer schlecht. Braunschweig/Wiesbaden, Vieweg, 2001.
[2] BLK: Gutachten zur Vorbereitung des Programms „`Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschalftlichen Unterrichts“‚. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung Band 60. Bonn, Bund-Länderkommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, 1997.
[3] Müller, G. N.; Steinbring, H.; Wittmann, E. Ch.: Jenseits von PISA: Bildungsreform als Unterrichtsreform. Ein Fünf-Punkte-Programm aus systemischer Sicht. Velber, Kallmeyer’sche Verlagsbuchhandlung, 2002.